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Sonntagnachmittags ist die Kirche voll

Während in vielen Gottesdiensten nur noch wenige Menschen sitzen, ist der monatliche Evensong äußerst beliebt

Von unserer Redakteurin Doris Schneider

Koblenz. Von solchen Besucherzahlen träumen viele Pfarrer außer an Weihnachten oft nur: An jedem ersten Sonntag im Monat versammeln sich mehrere Hundert Menschen in der Kastorkirche (November bis einschließlich April) oder der Florinskirche (Mai bis Oktober), um gemeinsam den Evensong zu feiern. Woran liegt das?
„Dass die Kirchen sonst leer sind, stimmt ja so auch nicht“, sagt Kalle Grundmann ein bisschen verteidigend.
Aber ja, bestätigt der katholische Theologe dann gemeinsam mit seinem evangelischen Kollegen Wolfgang Hüllstrung: Der Evensong ist sehr beliebt in Koblenz.


„Zu Recht!“, sagen die beiden dann lachend. Denn sie sind beide ebenfalls echte Fans des musikalischen
Abendgottesdienstes, Grundmann hat ihn gar gemeinsam mit Sven Dreiser – beide waren Prokejtleiter von Kirche auf der Buga 2011“ – nach Koblenz geholt. An jedem Sonn- und Feiertag wurde im Buga-Halbjahr der Evensong gefeiert. Und obwohl der englische Name anfangs auf Kritik stieß, kristallisierte sich schnell eine große Gemeinde heraus, die den Evensong gemeinsam feiert.

Doch was ist es, das den Gottesdienst so beliebt macht? Aus Sicht von Wolfgang Hüllstrung und Kalle Grundmann, die die Organisation des Evensongs in Koblenz übernommen haben, kommen einige Punkte zusammen:
1 Die Musik steht im Mittelpunkt, nicht das Wort: Zwar gibt es Lesungen aus dem Alten und dem Neuen Testament, aber keine lange Predigt, sondern nur einen kurzen Impuls. Stattdessen
gibt es viel Musik, und zwar sowohl von guten regionalen Chören als auch im Wechselspiel mit der Gemeinde. Die Emotionen werden durch die Musik stärker angesprochen als im normalen Gottesdienst.

2 Der Ablauf ist immer gleich:
Wer einen Evensong besucht hat, weiß wie der nächste abläuft, sagen Grundmann und Hüllstrung. Denn der  Ablauf folgt einer strengen Ordnung. Zwar singen die Chöre natürlich unterschiedliche Lieder, aber was wann
kommt, weiß jeder sofort. Das gibt den Menschen ein gutes, heimeliges Gefühl, sind die beiden Theologen
überzeugt.

3 Die Gottesdienste sind ökumenisch: Darauf wird ganz großer Wert gelegt, betonen Grundmann und Hüllstrung.
Streng genommen, ist der Evensong natürlich weder katholisch noch evangelisch, sondern eben anglikanisch. Aber er wird ökumenisch gefeiert, und darauf wird auch fest geachtet: Er findet sechsmal im Jahr in der
katholischen St.-Kastor-Kirche und sechsmal in der evangelischen Florinskirche statt, wird immer geleitet von einem evangelischen und einem katholischen Pfarrer.

4 Der Evensong bildet einen guten Abschluss des Wochenendes:
17 Uhr am Sonntag, das ist für viele eine viel ansprechendere Zeit als der Sonntagmorgen. Nach dem  Gottesdienst, der meistens nicht länger als etwa 45 Minuten dauert, gehen viele noch ein bisschen spazieren oder mit Freunden und Bekannten etwas trinken.

5 Der Evensong holt ein Stückchen Buga zurück:
Manche sprechen noch immer von der „Buga-Gemeinde“, auch wenn wir jetzt schon im Jahr vier „danach“ leben.
Und Veranstaltungen wie der Evensong oder auch Programmpunkte der Festungskirche lassen in vielen Menschen das Sommermärchen wieder gegenwärtig werden.

Rhein-Zeitung, 03.03.2015, Seite 15

 

Das Schlusslied singen alle inbrünstig mit

Der Koblenzer Evensong verbindet die Menschen

Von unserer Redakteurin Doris Schneider
Koblenz. „Bleib bei mir, Herr. Der Abend bricht herein“, schallt es melodisch und inbrünstig aus Hunderten
von Kehlen. Das Abschlusslied des Evensongs lieben alle ganz besonders. Manche Augen werden feucht. Jeder hat seinen ganz persönlichen Grund, hier zu sein, jeder hängt seinen eigenen, mal fröhlichen, mal traurigen Gedanken nach. Aber in diesen Minuten ist keiner allein. Alle können sich als Teil einer Gemeinde fühlen, die in
der Basilika St. Kastor gemeinsam den Evensong feiert.

Vielleicht ist es das, was diese besondere Form des musikalischen Gebets für die Menschen zu etwas so Besonderem macht. „Man fühlt sich geborgen“, sagt später auf dem Platz vor der Kirche die Koblenzerin Rita Merten. Sie geht wie viele andere hier häufig zum Evensong. So wie Waltraud und Hans Dreyer und Ursula Frank, die noch ein bisschen zusammen stehen. „Es ist die Mischung aus Musik und Worten“, sagt Ursula Frank, und die anderen nicken. Und auch, dass man immer andere Chöre aus der Region sieht, findet Hans Dreyer gut. „Es ist einfach schön“, sagen auch Gabi und Gerd Remmers, 72 und 74 Jahre alt.
Wie sie haben die meisten Besucher eher silberne Haare, junge Leute oder Familien finden sich praktisch keine.

Gut eine Stunde vorher, um Viertel vor 5, sitzt ein 56-jähriger Koblenzer auf einer Decke vor der Kirche. Er ist immer hier bei Gottesdiensten, erzählt er. Freut sich über Spenden, die die Menschen in seine Dose tun. Und hilft Älteren, die Treppenstufen hinunterzugehen.
Drinnen ist es schon so gut wie voll. Rüdiger Brennig von der Gemeinde St. Kastor bringt noch mehr Stühle,
sorgt dafür, dass sie ordentlich gestellt werden. „Das Problem, dass es zu voll in der Kirche wird, haben wir
nur beim Evensong“, sagt er und lacht.

Es ist 17 Uhr, und mit dem letzten Glockenschlag ertönt die Orgel. Gabriele Wölk und Thomas Hüsch treten in den Altarraum, in weiße Kittel gehüllt. Auch das ist wichtig beim Evensong: Immer ein katholischer und ein evangelischer Pfarrer feiern gemeinsam das musikalische Gebet, und an der Kleidung sieht man keinen Unterschied. Für manche Gläubigen, aber auch für die Pfarrer war das am Anfang sehr ungewohnt.
Doch den Evensong gibt es ja jetzt schon seit April 2011 in Koblenz, er ist für viele sehr vertraut geworden.

Gemeinsam singt die Gemeinde das Eröffnungslied „Herr, öffne meine Lippen.“ Musik spielt eine wichtige Rolle beim Evensong, aber zu Konzerten sollen die Feiern nicht werden, betonen die Organisatoren Kalle Grundmann und Wolfgang Hüllstrung. Deshalb wird auch mindestens eins der Lieder im Wechselsang mit der Gemeinde gesungen, am Sonntag sind es sogar zwei. Die Faltblätter, auf denen die Lieder und der Ablauf gedruckt sind, haben reißenden Absatz gefunden, viele nehmen sie auch zur Erinnerung mit nach Hause.

Doch auch die Worte  sind wichtig, wenn sie auch kurz sind – deutlich kürzer zumindest als eine normale Predigt in einem sonntäglichen Gottesdienst. Pfarrerin Carmen Wölk bezieht sich in ihrem Kurzimpuls auf die beiden Lesungen zuvor, in denen es jeweils um die Gleichnisse von den bösen Winzern gegangen war. Vom Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt spricht sie und davon, dass Gott plötzlich Hoffnung wachsen lässt. Eine lange Stille folgt.

Dem Kyrie Eleison folgen Fürbitten, die Thomas Hüsch vor allem den Opfern von Krieg und Gewalt widmet, jungen Menschen, die nicht wissen, wie ihre Zukunft aussehen soll, Kranken und Trauernden.
Das Vaterunser füllt die Kirche. Und dann eben das Abschlusslied. „Wer hilft mir sonst, wenn ich den Halt verlier? In Licht und Dunkelheit, Herr, bleib bei mir!“ Nach der letzten, inbrünstig gesungenen Zeile verstummt die Orgel. Die Menschen schlendern nach draußen, und während manche Tränchen wegwischen, freut sich der
Bettler am Eingang über freundliche Worte und Münzen. Einige stehen noch mit Bekannten zusammen, andere rangieren schon das Auto vom vollen Parkplatz. Da ist der Alltag dann schnell wieder da.

Rhein-Zeitung, 03.03.2015, Seite 17

 

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